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MMM-Club

Juni 2021

Eckart von Hirschhausen im Interview

VON Simone Krah

„Wir müssen nicht die Erde retten, sondern uns“, ist Dr. Eckart von Hirschhausen überzeugt. Ein Virus hat uns gezeigt, wie verletzlich wir sind und wie große Menschheitsaufgaben nur im Miteinander gelöst werden können. Zumal die nächste Mammut-Herausforderung zwingend rasches Handeln erfordert: Die Klimakrise. Davon ist Deutschlands bekanntester Arzt überzeugt und hat sich dem Thema in seinem neusten Buch „Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben“ gewidmet. Was das Klima mit unserer Gesundheit zu tun hat, welche Rolle unsere Ernährung spielt, warum er auf die ­Eigenverantwortung des Einzelnen setzt und was er sich von der Politik und der Lebensmittelwirtschaft wünscht – darüber sprach von Hirschhausen mit MMM-Präsidentin Simone Krah.

SIMONE KRAH: Lieber Herr von Hirschhausen, vor zwei Jahren haben Sie auf dem MMM-Kongress über den Wert der Offenheit gesprochen. Offenheit auch mit Blick auf mögliche Lösungen für die drängenden Fragen unserer Zeit. Dazu zählt ganz sicher die Klimakrise. Was war für Sie persönlich der Anstoß, sich für das Klimathema zu engagieren?

ECKART VON HIRSCHHAUSEN: Das klingt vielleicht pathetisch – aber eine Frau hat mein Leben verändert: Jane Goodall. Mit 26 Jahren wurde sie für ihren kühnen Plan, Schimpansen in freier Wildbahn aus der Nähe zu erleben, weltberühmt und gleichzeitig angefeindet. Mit inzwischen 85 Jahren ist sie immer noch unermüdlich unterwegs in ihrer Herzensangelegenheit: Das Überleben von Menschen und Tieren zu sichern. Ich interviewte sie und dabei drehte sie die Rollen um, schaute mich länger an und fragte mich sehr direkt: „Wie kann es sein, dass die schlaueste Kreatur, die jemals auf diesem Planeten gewandelt ist, dabei ist, ihr eigenes Zuhause zu zerstören?“ Ich musste dreimal schlucken bei dieser großen und zentralen Frage und wusste keine gute Antwort. Das war der Startschuss für meine Reise, und „Mensch, Erde!“ ist so etwas wie das Fahrtenbuch.

SIMONE KRAH: Warum ist das vor uns liegende Jahrzehnt mit Blick auf unser Klima und das Wohl der Menschheit aus Ihrer Sicht so entscheidend?

ECKART VON HIRSCHHAUSEN: Die nächsten 10 Jahre entscheiden darüber, wie die nächsten 10.000 Jahre für unsere Zivilisation werden. Deswegen müssen wir schnell handeln – und zwar nicht jeder für sich alleine und im Kleinen, sondern überregional, europäisch und global. Klima ist kein ­„Modethema“, sondern ganz einfach eine Frage des Überlebens. Es ist völlig naiv zu glauben, wir würden in den nächsten Jahren eine Zaubermaschine erfinden, die das CO2 mit einem Staubsauger wieder verschwinden lässt. Viel wichtiger ist es, endlich mit der idiotischen, dreckigen und teuren Kohleverstromung aufzuhören, denn aus dem Weltraum betrachtet ist die Atmosphäre eben nicht eine unendliche Müllhalde für Treibhausgase, sondern eine sehr dünne und empfindliche Haut der Erde. Und diese Schutzschicht macht den Unterschied, ob wir auf der Erde leben können oder nicht. Besser wird es nirgendwo im Weltall. Wir sind mit wahnsinnig viel Glück auf dem einzigen bekannten Planeten mit Wasser, Luft und erträglichen Temperaturen. Und um wirklich alle Leser zu motivieren, ist die Erde auch der einzige Ort im Weltall mit Kaffee, Sex und Schokolade. Mensch Erde, wir könnten es echt schön haben!

SIMONE KRAH: Wenn das Ziel und die Notwendigkeit zu Handeln klar sind: Braucht es nicht eine klar formulierte Vision, ein positiv besetztes, motivierendes Bild von der Zukunft, um die Menschen dafür zu gewinnen und mitzunehmen?

ECKART VON HIRSCHHAUSEN: Ich spreche in diesem Fall gerne von unser aller Mutter Erde, ich kann mir kaum ein positiveres Bild vorstellen. Und nun stellen Sie sich vor, Sie erfahren, dass Ihre eigene Mutter auf der Intensivstation liegt. Was würden Sie tun, in dem Moment, wo Sie von ihrem kritischen Zustand erfahren? Sie würden alles stehen und liegen lassen und sich genau um diese Situation kümmern. Das hätte Vorrang vor allen anderen Aktivitäten. Das würde auch jeder akzeptieren. Sie könnten aus jedem Meeting sofort heraus mit dem Satz: Ich habe soeben erfahren, dass ein naher Angehöriger ins Krankenhaus musste, deshalb haben Sie bitte Verständnis. Hat jede und jeder. Mit guten Wünschen verabschiedet darf man sich auf den Weg machen. Das hat Priorität, persönlich und politisch. Und das brauchen wir jetzt: keine Panik, aber oberste Priorität zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen.

SIMONE KRAH: Als Arzt befassen Sie sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Gesundheit, das in den letzten Monaten einen zusätzlichen Bewusstseinsschub erfahren hat. Inwiefern hängen die Themen Gesundheit und Klima zusammen?

ECKART VON HIRSCHHAUSEN: Auf dem Buchdeckel steht halb scherzhaft: „Drei Krisen für den Preis von zwei“. Die großen Themen unserer Zeit hängen tatsächlich sehr viel enger miteinander zusammen als oft wahrgenommen wird. Die Klimakrise ist auch eine Gesundheitskrise. Und ohne die Zerstörung von Lebensräumen, das Artensterben und den Wildtierhandel hätten wir auch kein Corona. Wir sind viel verletzlicher als wir gedacht haben und müssen Gesundheit global denken. Ein Virus fragt nicht nach einem Visum, um Ländergrenzen zu überspringen. So wenig wie ein C02-Molekül in der Atmos­phäre fragt, aus welchem Land es kam. In unserem Körper kommt alles zusammen und verstärkt sich: Acht Millionen Menschen jedes Jahr sterben an Luftverschmutzung, und eine Lunge, die Dreck einatmen muss, ist auch viel anfälliger für Corona. Naturschutz und Tierschutz ist auch Gesundheitsschutz, wenn wir das aus dem letzten Jahr gelernt haben, war es wenigstens zu etwas gut. Dieser Kerngedanke nennt sich international „one health“ oder auf Deutsch: Gesunde Erde – Gesunde Menschen.

SIMONE KRAH: Im MMM-Club kommen der Handel und die Lebensmittelwirtschaft zusammen, um Zukunft zu denken und Ideen zu teilen. Ernährung, Gesundheit und Klima sind ja eng miteinander vernetzt. Was würden Sie sich von unserer Branche wünschen?

ECKART VON HIRSCHHAUSEN: Mehr Klarheit für die Verbraucher. Wenn ich weiß, dass eine Gemüsesuppe nur ein Zehntel des Ressourcenverbrauches von einer Fleischsuppe hat, kann ich mich fragen: Schmeckt mir die Fleischsuppe wirklich zehnmal so gut? Ich weiß, dass es nicht banal ist, den Produkten ihren ökologischen Rucksack zuzuordnen, aber wie Pilotstudien zeigen, reagieren Verbraucher, wenn sie die Information transparent gemacht bekommen. Das sollte Branchenstandard sein. Ich finde es auch sehr begrüßenswert, wenn ich bei Dingen des alltäglichen Bedarfs wie Shampoo, Sonnencreme oder Deo eine klimaneutrale Variante wählen kann.

SIMONE KRAH: Auf dem Feld der Ernährung und nochmals befördert durch die Pandemie hat sich in letzter Zeit enorm viel getan. Themen wie Bio, Nachhaltigkeit oder das ganze Thema der pflanzlichen Proteine haben einen massiven Schub erlebt. Wie ordnen Sie diese Entwicklungen klimatechnisch ein?

ECKART VON HIRSCHHAUSEN: Unsere Ernährung ist einer der größten Hebel, die wir beim Klimaschutz haben. Die Idee einer „Planetary Health Diet“ verbindet das, was dem Körper guttut, mit dem, was dem Planeten guttut. Und das ist vor allem weniger Fleisch, weniger Zucker und Milchprodukte, mehr Nüsse, Hülsenfrüchte und buntes Gemüse. Das kann man den Menschen nicht „vorschreiben“ aber „verschreiben“. Denn es kann Millionen Herzinfarkte und Schlaganfälle, praktisch alle großen Zivilisationskrankheiten, verhindern, wenn wir uns mehr bewegen und weniger Übergewicht anhäufen. Wenn wir unsere krankmachenden Konsummuster unterbrechen, geht es nicht um Mangel oder Verzicht, sondern um das einzig sinnvolle und langfristige, um gesund zu sein und zu bleiben.

SIMONE KRAH: Sie sprechen in Ihrem Buch an, dass diese Themen oft aus der „Filterblase der urbanen Besserverdiener“ heraus diskutiert werden? Wie schaffen wir es, möglichst viele Kundinnen und Kunden mitzunehmen? Der erhobene Zeigefinger funktioniert ganz offensichtlich nicht…

ECKART VON HIRSCHHAUSEN: Nach meiner Erfahrung taugt der Zeigefinger immer besser zum Kitzeln als zum Drohen. Die Umweltkommunikation ist sehr emotional aufgeladen und wird zum Teil sehr verbiestert geführt, deswegen würde ich eine Prise Humor empfehlen, um den Fokus wieder auf die wesentlichen Themen zu rücken. So liebe ich die Plakate mit Augenzwinkern von „Fridays For Future“: „Kurzstreckenflüge nur für Insekten“, „Wozu Bildung, wenn keiner auf die Wissenschaft hört?“ oder „Klima ist wie Bier – zu warm ist doof!“ Oder mein Liebling: „Ich bin so sauer, ich habe sogar ein Plakat gebastelt…“

SIMONE KRAH: Wir bei MMM stehen immer sehr für die Idee der Verbindung aus Freiheit und Verantwortung. Wo fängt aus Ihrer Sicht eigenverantwortliches Handeln an?

ECKART VON HIRSCHHAUSEN: Sich schlau machen, sich verbünden mit anderen und auf politische Veränderungen drängen, das ist das Allerwichtigste. Die persönlichen Hebel sind weniger heizen, weniger fliegen, weniger Fleisch. Aber das reicht nicht. Es ist grundfalsch, die Lösung der Probleme nur durch Einsicht und Verzicht erreichen zu wollen. Ich kann nicht „eigenverantwortlich“ dafür sorgen, dass endlich Bahnfahren in Deutschland so gut funktioniert wie in Frankreich, Japan oder der Schweiz, dass der öffentliche Nahverkehr fluppt und am besten umsonst ist, dass es ein Tempolimit gibt und einen wirksamen Co2 Preis. Dafür braucht es politische Mehrheiten und keine Ökomoral, sondern wissenschaftsbasierte wirksame Gesetze.

„Wir müssen nicht die Erde
retten – sondern uns“

Eckart von Hirschhausen

SIMONE KRAH: Sie sprechen das wichtige Thema der Mobilität an. Wo müssen wir hier aus Ihrer Sicht konkret ansetzen, etwa um den Bahnverkehr zu stärken?

ECKART VON HIRSCHHAUSEN: Von Klaus Töpfer, den ich sehr schätze als Vordenker auch im konservativen Lager, kenne ich den Satz: Was ist der beste Zeitpunkt einen Baum zu pflanzen? Vor 30 Jahren. Sinngemäß gilt das auch für Bahnstrecken. Die großen Fehlentscheidungen sind schon vor vielen Jahrzehnten gefallen, als wir kein Schnellzugnetz aufgebaut haben. Innerdeutsche Flüge wären total überflüssig, wenn wir zwischen Stuttgart und Berlin, zwischen Hamburg und München mit 300 km/h durchfahren könnten. Ein erster sinnvoller Schritt ist die Wiederbelebung der Nachtzüge. Parallel müsste ein relevanter C02-Preis und die Besteuerung von Kerosin das Bahnfahren auch finanziell viel attraktiver machen. Das ist ein gutes Beispiel, wie man eben nicht alles nur den Verbrauchern, den Konsumenten in die Schuhe schieben kann. Es braucht klare Prioritäten und den politischen Willen, deshalb habe ich ja auch die Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ gegründet, und arbeite vor und hinter den Kulissen inzwischen viel dafür, dass die Ärzteschaft, die Pflege, die Fachgesellschaften sich klarer zur Dringlichkeit äußern, und genau das passiert schon – endlich!

SIMONE KRAH: Wenn wir uns in zehn Jahren bei einer Tasse Kaffee zusammensetzen und zurückblicken: Was wäre Ihr Wunsch, wo wir mit Blick auf das Klima und unseren Planeten Erde stehen?

ECKART VON HIRSCHHAUSEN: Zum einen hoffe ich, dass unser Kaffee fair und nachhaltig gehandelt wurde, weil es anderen Kaffee gar nicht mehr gibt. Wir werden dann neue soziale Normen haben. Vieles, was uns 2021 noch „normal“ vorkam, wird dann längst überholt sein. Und wir werden darüber lachen, dass wir jahrzehntelang so viel verbraucht haben, weil wir nicht wussten, was wir wirklich brauchen, um glücklich und enkeltrauglich zu leben. Es gibt neue Formen des Zusammenlebens, weniger Konkurrenz, mehr Kooperation und Gemeinwohlorientierung, mehr Hingabe und Bereitschaft zu teilen. Es gibt 100 Prozent erneuerbare Energie, wir haben die Hälfte der Landflächen und der Meere unter Naturschutz gestellt und wohnen in Städten, die nicht für Autos, sondern für Menschen gestaltet sind.

SIMONE KRAH: In der Regel sind es optimistische Macher, welche Entwicklungen zum Guten anstoßen. Wie optimistisch blicken Sie in die Zukunft?

ECKART VON HIRSCHHAUSEN: Mir geben zwei Punkte Anlass zur Hoffnung: Erstens – wir können noch etwas ändern, und es lohnt sich um jede Tonne vermiedener Emissionen und um jedes Zehntel Grad zu kämpfen. Entscheidend ist wirklich, was wir in diesem Jahrzehnt auf den Weg bringen. Und: wir erleben gerade historische Zeiten. Das Bundesverfassungsgericht hat ein sensationelles Urteil gefällt, dass wir die Freiheit der nächsten Generationen zur Leitschnur der heutigen Entscheidungen machen müssen. Damit ist klar, alle Parteien müssen dafür konkrete Umsetzungen anbieten. Das Klimathema hat nicht nur die Europawahl bestimmt, es ist das zentrale Thema für die nächste Regierung. Auch die Tatsache, dass mein Buch über das wirklich nicht leichte Thema Klimawandel und Gesundheit direkt auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste landetet, zeigt mir: Viele Bürgerinnen und Bürger wollen Bescheid wissen, mitreden und mitgestalten, da sind sie vielleicht sogar im Kopf schon weiter als die ­große Politik.

SIMONE KRAH: Lieber Herr von Hirsch­hausen, danke für das Gespräch.

Das Interview
zum Download

Hier finden Sie die das Interview mit Eckart von
Hirschhausen aus der aktuellen Clubnews.

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